Warum der Tod von Bin Laden Anlass zur Trauer sein kann

Mal abgesehen davon, welchen Wahrheitsgehalt die Verschwörungstheorien zum Anschlag von 9/11 oder dem Tod Bin Laden beinhalten geht mir die Frage nicht aus dem Kopf, warum die USA jetzt die Hinrichtung von Bin Laden verkünden. Es gäbe schließlich eine ganze Menge Gründe, diese gezielte Tötung zu verheimlichen:

  • Die Regierung in Pakistan war absehbar nicht gerade erfreut über die Aktion. Wir erinnern uns: Das sind die mit Atomwaffen.
  • Völkerrechtlich könnte der “gezielte Schlag” auch als verbotene außerordentliche Hinrichtung gewertet werden.
  • Die Republikaner rühmen sich jetzt mit ihrer Folter durch Waterboarding während der Amtszeit von G. W. Bush, die angeblich zur Lokalisierung von Bin Laden beigetragen hat. Das kann innenpolitisch durchaus dazu führen, dass nicht Obama, sondern die Republikaner davon profitieren.

Können wir uns wie Frau Merkel über den Tod Bin Ladens freuen? Emotional berührt mich der Tod von Bin Laden nur, weil ich jedes Leben für schützenswert halte, egal ob das eines Terroristen, Papstes oder Kaninchenzüchters. Außerdem bin mir auch überhaupt nicht sicher, ob er überhaupt “die Terrorgruppe Al Kaida” wie wir sie jetzt aus den Medien kennen geleitet hat. Sicher bin ich mir nur, dass die damalige Bush- Regierung der USA Al Kaida zur Marke mit einem Bekanntheitsgrad auf Niveau von Coca-Cola überhöht hat, um ihren “Krieg gegen den Terror” führen zu können. In der Folge wird jeder Volltrottel im Besitz von Sprengstoff zum Al Kaida-Mitglied, sofern er sich zum Islam bekennt, und Bin Laden zum Chef eines weltumspannenden, riesigen Terrornetzwerkes. Dieser “Krieg gegen den Terror” hat bekanntermaßen viel mehr Menschenleben gekostet als der Terror an sich.

Ich hätte mich dagegen sehr über die Festname von Bin Laden und die Überstellung an den Interationalen Strafgerichtshof in Den Haag gefreut. Wir hätten der Welt öffentlich den Unterschied zwischen Rechtsstaatlichkeit und Rache zeigen können. Bin Laden hätte uns nicht nur eine Menge Details erzählen können, die uns von den USA niemals zugänglich gemacht werden. Wir hätten aus qualifizierter Quelle über die Organisationsform von Al Kaida informiert werden können und vermutlich gelernt, wie winzig Al Kaida zu Beginn des “Kriegs gegen den Terror” in Wirklichkeit war. Hätte könnte wollte würde, schade!

Bin Laden hätte uns vielleicht dabei helfen können, die Sinnlosigkeit unserer Überwachungsmaßnahmen zu erkennen: Nur weil wir wahllos Moslems der Terrororganisation Al Kaida zuordnen, fangen diese Leute doch nicht auf einmal an, miteinander zu kommunizieren. Wer sich nicht kennt, kann auch keine gemeinsamen Pläne machen, das ist weder konspirativ noch heimlich und durch Abhören nicht herauszufinden. Bin Laden konnte in Pakistan ohne Internet und Telefonanschluss über Jahre untertauchen, nur weil sich unsere Strafverfolgungsbehörden offensichtlich weltweit überwiegend auf bequeme Telekommunikationsüberwachung beschränken.

Werden nach dem Tod Bin Ladens jetzt wenigstens die Vorratsdatenspeicherung- Gesetze, Bundestrojaner und der aus den Zeiten der RAF bis heute bösartig wuchernde Anti-Terror- Überwachungsapparat abgeschafft? Geben die USA jetzt ihre Folterknäste auf und verzichten auf Waterboarding, Schlafentzug und Erniedrigung ihrer Gefangenen? Wohl kaum, da wir laut führender Politiker jetzt angeblich Rache- Anschläge von Al Kaida-Anhängern befürchten müssen.

Wenn dadurch eigentlich alles schlimmer wird, aber nichts besser, warum hat die Regierung der USA denn Bin Laden überhaupt erschießen lassen?

Für mich bedeutet der Tod von Bin Laden hauptsächlich die vertane Chance, den von uns geschaffenen Zyklus aus Rache, Unterdrückung, Terror und Überwachung zu durchbrechen. Um sich darüber zu freuen muss man wohl ein besonderer Mensch sein (vielleicht Innenminister oder Kanzlerin).